YUN WANG


*1982 China

Die Inspirationen zu den Ölgemälden von Yun Wang sind äußerst vielfältiger und oft auch spannungsreicher Natur. Die Künstlerin bezieht sie aus eigenen Träumen, der zeitgenössischen Kultur, aber auch aus ihrer Herkunft, der alten chinesischen Philosophie und der Tuschmalerei.
Der Malprozess gestaltet sich als ein langsames Finden und Tasten. Er steht damit im Gegensatz zur Praxis, ein Bildkonzept im Detail festzulegen und anschließend auf die Leinwand zu übertragen und dort umzusetzen. Die Entwicklung eines Bildes verläuft bei Wang hingegen stufenweise, wobei das Ende oft nicht absehbar ist und Übermalungen häufig dazwischentreten. Ist der Malprozess (vorläufig) abgeschlossen, entsprechen die Bilder zumeist nicht mehr den ursprünglichen Entwürfen, die Wang gedanklich skizziert hatte. Die Künstlerin öffnet sich beim Malen plötzlichen Eingebungen, was zu schwer absehbaren formalen und farblichen Ergebnissen führt.
Aus dieser Vorgehensweise resultiert ein schichtförmiger Aufbau der Bilder aus mehreren dünnen Farbaufträgen, wodurch die anfänglich aufgetragenen Farben immer undeutlicher werden. Die Assoziation dieser Schichten mit einem transparenten Stoff oder einem Schleier liegt hier nahe, dessen geheimnisvolle Wirkung in der Undeutlichkeit liegt, die er hervorzurufen vermag. Der Effekt dieser schleierhaften Malschichten ist eine bestimmte Tiefe der Bilder, die nichts mit einem perspektivischen Durchblick zu tun hat, sondern mit einem visuellen Abtasten des semitransparenten Bildkörpers.
Motivisch sind die Bildwelten von Yun Wang meist stark von surrealen Momenten geprägt. Oft fühlt man sich in alptraumhafte Szenen versetzt, in denen manifest gewordene Trauminhalte indirekt auf die Fabrikationen des Unbewussten verweisen. Die grellen und expressiven Farben, die sich den Betrachtenden mitunter fast aufdrängen, tragen zu diesem Eindruck zusätzlich bei. Die Kombination kontrastierender Farbtöne, wie etwa von Rot und Grün, führt zu Spannungen im Gefüge der Bilder, die sich auf die Betrachtenden fortsetzen. Wangs Bildwelten wollen nicht bloß realistisch gesehen werden, sondern sind voller Rätsel, Symbole und Metaphern, gefüllt mit bildhaften Ausdrücken verborgener Bedeutungen, die zu ihrer Entschlüsselung Ansätze liefern. Gerade die realistischen Elemente stellen in ihrer Kombination aber den fruchtbaren Boden für die surreale Saat dar, die merkwürdige Blüten treibt – die Realität bildet derart die Grundlage ihrer eigenen Überschreitung.
Das Motiv des Wassers spielt in Wangs Ölgemälden eine zentrale Rolle. Oft nimmt es dabei surreale, traumartige Qualitäten an, etwa wenn ein Zimmer gezeigt wird, das voll von Wasser ist, in dem Menschen schwimmen. Die besondere, flüssige Beschaffenheit des Wassers und seine vielfältigen Effekte werden von Wang in ihren Bildern voll ausgespielt. So deutet sie nicht nur Spiegelungen auf seiner Oberfläche an, sondern ein Zerfließen der Figuren selbst, die mit dem Wasser in Berührung kommen und darin eintauchen. Das Motiv des Wassers mit seinen Spiegelungen, seinem gravitätischen Fluss nach unten, seinen Effekten des Zerfließens legt gleichzeitig auch die Farbmaterialien offen, aus denen es selbst, aus denen das gesamte Bild gemacht ist. Wasser/Flüssigkeit tritt zur gleichen Zeit sowohl motivisch-gegenständlich, als auch strukturell auf – als Bildgegenstand und dessen tragender Grund, der selbst in Bewegung ist. Mit dem Element des Wassers verbunden ist das Motiv des Bootes, das ebenfalls wiederholt in Wangs Bildern auftritt. Manchmal vermischen sich wolkenähnliche Kürzel mit den Farbschlieren des Wassers, wodurch die Trennung der Elemente aufgehoben wird – ob man eine Welle oder eine Wolke betrachtet, ist dann schwer zu entscheiden. Oft fügt Wang der viskosen Ölfarbe soviel Terpentin zu, dass sie Flüssigkeiten wie Wasser nicht mehr nur imitiert, sondern selbst flüssig wird, was zu Momenten gesteuerten Zufalls in Form von Rinnspuren führt.
Bezüge auf die chinesische Tradition der Tuschmalerei finden sich in Wangs Werken sowohl in technischer als auch in motivischer Hinsicht. Wird die Ölfarbe stark mit Terpentin verdünnt, so nähert sie sich der Konsistenz der Tusche an. Motivisch und kompositorisch sind wiederholt Anspielungen auf die Bildwelten der chinesischen Landschaftsmalerei zu entdecken, etwa wenn sich ein dürrer, knorriger Baum im Vordergrund zeigt oder Felsen den Rand des Bildes rahmen. Auch das Motiv des Flusses, der sich durch das Bild zieht, ist als beliebtes Motiv zur Tuschmalerei zu zählen. Die Maler des alten China schilderten Landschaft oft mithilfe eines hohen Grades von farblicher und formaler Reduktion – Wang hat diese Art mitunter übernommen und deutet einige ihrer Motive nur durch Kürzel an. Als Unterschied zur Tuschmalerei wäre auf die starke farbliche Fülle und Expressivität hinzuweisen, die Wangs Bilder überzieht – im Medium der Tuschmalerei scheinen hingegen leer gelassene Stellen des Blattes neben der schwarzen Farbe eine zentrale Rolle zu spielen.
Was ebenfalls auf die chinesische Kultur verweist, ist die Vielzahl von Tieren (besonders Vögel), die in Wangs Gemälden immer wieder auftauchen und die jeweils eine besondere Bedeutung tragen. So können etwa Raben wahrnehmen, was Menschen nicht sehen können, während der Kranich wiederum für ein langes Leben stehen kann.
Nach Vorstellung der alten chinesischen Philosophie teilen Menschen mit der sie umgebenden Welt eine tiefe Verbindung, verschmelzen und werden eins mit ihr. Wangs Gemälde scheinen diese Beziehung zu illustrieren, etwa wenn Figuren zerfließen und in ihre Umgebung auslaufen, sich mit ihr vermischen (dem gegenüber steht jedoch die emotionale Isolation vieler ihrer Figuren). Von einem Werk der chinesischen Tuschmalerei wird gefordert, dass es Qi besitzen soll, was soviel wie (Eigen)Leben oder Energie bedeutet. Die Malerei von Yun Wang hat Teil an dieser Lebensenergie, konfrontiert die Betrachtenden damit und lässt sie auf diese überspringen. (Gabriel Hubmann)

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